Philosophie

Architektur und Zeit

Architektur ist etwas Langlebiges und deshalb zu besonderer Qualität verpflichtet. Während sich ringsum alles in rasendem Tempo ständig verändert – die Autos, die Kleidung, die technischen Geräte, die Objekte des Alltags – bleiben Gebäude jahrzehntelang so stehen, wie sie ursprünglich entworfen wurden.
Inmitten dieses hektischen Wechsels von Entstehen und Vergehen muss die Architektur Bestand haben. Sie hat nicht den Vorteil der Moden und Lifestyles, über deren Torheiten schon in der nächsten Saison der Mantel des Vergessens gebreitet wird. Über Architektur wächst kein Gras. Im Gegenteil: Architektur sticht heraus, und mit jedem Jahr sticht mehr heraus, ob es gute oder schlechte Architektur ist.
Der „test of time“ ist gnadenlos. Das gerade noch als bahnbrechend innovativ gefeierte Meisterwerk des Dekonstruktivismus wirkt schon nach 5 Jahren geradezu pathetisch altmodisch. Zurückgelassenes Treibgut der Wellen des Zeitgeists. Nichts veraltet so schnell wie die Avantgarde. Die Architektur von Humbeck bildet dazu bewusst einen Gegenpol. Sie ist von vornherein auf visuelle und wirtschaftliche Langlebigkeit angelegt. Ihre Zielsetzung lautet Nachhaltigkeit – ein Begriff, der aus der Ökologie kommt, aber zunehmend auch auf die Ökonomie angewendet wird.
Was heißt das im konkreten Fall? Es bedeutet, dass sich Humbeck einer zurückhaltenden, klar strukturierten Formensprache bedient, die die Grenze zwischen dem Modernen und dem Modischen nie überschreitet. Daraus entsteht eine verblüffende Zeitlosigkeit. Das Baujahr der Gebäude ist schwer zu schätzen. Sie sind so aktuell, wie am ersten Tag.
Zeitlosigkeit bedeutet auch Wertbeständigkeit. Ein Gebäude, das nicht veraltet und auch nach Jahren noch „gut dasteht“, behält seinen Wert und erzielt höhere Renditen. Das ist nicht nur das Resultat der äußeren Form, sondern auch der inneren Werte. Humbeck beweist, dass ein Großteil guter Architektur unsichtbar ist. Durchdachte Planung und eine kluge Auswahl von Materialien schaffen Synergien, die etwa den Energiebedarf oder die Unterhaltskosten deutlich senken und die Wirtschaftlichkeit erhöhen. Auch ein auf den ersten Blick etwas teureres Gebäude ist so auf lange Sicht eine bessere Investition als die scheinbar kostengünstigere Alternative. Gerade bei Architektur ist eben alles eine Frage der Zeit.

Architektur und Individualität

Im Handwerk war jedes Produkt ein Einzelstück, gefertigt nach den Wünschen des Auftraggebers. Diesem Grundgedanken fühlt sich Humbeck nach wie vor verpflichtet: Architektur soll so weit wie möglich auf den Auftraggeber und die Aufgabe zugeschnitten sein.
Das heißt: Keine vorgestanzten Routinelösungen. Kein Einheitsbrei. Kein „unverwechselbarer Stil“, der alles über einen Leisten schlägt.
Die Arbeitsbeispiele zeigen, dass Humbeck über eine Vielfalt architektonischer Ausdrucksformen verfügt, die jeweils ganz individuell eingesetzt werden. Dieser Pluralismus ist das Resultat stringenter planerischer Konsequenz. Eine Schule ist eine Schule, und ein Bürogebäude ist ein Bürogebäude. Unterschiedliche Aufgaben erfordern unterschiedliche Lösungen.
Um derart maßgeschneiderte Bauwerke trotz des heute allgegenwärtigen massiven Kostendrucks zu realisieren, arbeitet Humbeck nach dem Manufakturprinzip. Alles, was man sehen und anfassen kann, also der haptische Teil des Gebäudes, wird individuell entwickelt; der darunter liegende, unsichtbare Teil (also Funktions- und Infrastrukturelemente) ist durchstandardisiert. Dieses Prinzip ähnelt sehr stark der Plattformstrategie im Automobilbau, die bewiesen hat, wie gut sich damit die Vorteile der individuellen Kleinserie und der industriellen Großproduktion auf einen Nenner bringen lassen.
Das Manufakturprinzip und der unbedingte Wille zur eigenständigen Lösung haben Gebäude geschaffen, die bei aller Zurückhaltung Charakter zeigen. Die großen Gebäudemassen werden immer wieder durch spannende Kontraste belebt – zwischen Metall und Holz, Klinker und Putz, runden und eckigen Formen – oder durch sparsam dosierte, aber kraftvolle Farbakzente. Bemerkenswert ist die Vielfalt der Fenster- und Dachlandschaften, vom Bullauge bis zum Tonnendach, dessen Querschnitt an ein griechisches Omega erinnert.
Humbeck antwortet auf Kostendruck nicht mit Kapitulation. Humbeck antwortet mit Kreativität. Und das Schönste ist: Die Kostenvorgaben wurden trotzdem immer eingehalten.

Architektur und Respekt

Architektur, wie Humbeck sie versteht, ist immer Ausdruck von Respekt. Respekt vor der Umwelt und dem Stadtbild, in das sich ein neues Gebäude einfügen muss. Respekt vor dem Vorhandenen, der sich in der Sensibilität zeigt, mit der Altbauten saniert werden oder Zeitgenössisches in vorhandene Gebäudesubstanz hineinkomponiert wird. (Eines der gelungensten Beispiele dafür ist sicher die Hochschule für Musik und Theater in Leipzig.)
Vor allem aber erfordert gute Architektur, dass der Architekt Respekt vor den Wünschen des Auftraggebers hat. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sollte man meinen. Doch sie ist nicht immer gegeben in einer Zeit, in der Star-Architekten zu übergroßer Dominanz neigen und erwarten, dass sich Auftraggeber ihren Visionen unterordnet. Ebenso gibt es am anderen Ende des Spektrums Architekten, die sich in freiwilliger Selbstunterwerfung nur als Befehlsempfänger und ausführendes Organ sehen. Das ist die schlimmste Form mangelnden Respekts vor dem Auftraggeber: die totale Gleichgültigkeit, getarnt als Dienstleistungsmentalität.
Humbeck definiert den Respekt vor dem Auftraggeber sehr konservativ: Unbedingtes Einhalten von Terminen. Kein Überschreiten des vereinbarten Kostenrahmens. Genau hinhören, was gewünscht wird. Und daraus das Beste machen. Konzeption, Organisation und Motivation zu gleichen Teilen.
Ein letzter, doch zentraler Punkt ist für Humbeck Freie Architekten der Respekt vor denen, die in ihren Gebäuden leben werden. „Wir bauen für Menschen“, sagt Friedrich Humbeck. „Also geht es darum, deren Umwelt zu verbessern.“ Und deshalb versucht man z.B. in einem Altenheim, wo den Bewohnern das Gehen schwerfällt, besonders kurze Verkehrswege zu schaffen – auch wenn es billigere Lösungen gäbe.
Aber was ist teuer, was ist billig? Ist ein kostengünstiges Gebäude, in dem sich niemand wohl fühlt und in dem daher ständig die Mieter oder die Mitarbeiter wechseln, wirklich so kostengünstig? Und ist eine Architektur, die über Standardlösungen hinausgeht, wirklich teurer? Architektur ist ein Arbeitsplatzfaktor, der die Leistung in einem Unternehmen wesentlich erhöhen kann. Architektur kann genauso effizienzsteigernd sein wie das Controlling.
Architektur, die die Menschen respektiert und ihre Lebensqualität verbessert, macht sich immer bezahlt – sozial wie ökonomisch.
KARL MICHAEL ARMER